Marilyn und ich | Ji-Min Lee


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Im Jahre 1954 soll Marilyn Monroe vier Tage lang durch Korea reisen, um dort stationierte amerikanische Soldaten zu unterhalten. Begleitet wird sie dabei von Alice, einer jungen Koreanerin, die als Übersetzerin für die Amerikaner arbeitet. Während dieser Zeit gelingt Alice ein Blick hinter die Kulissen der berühmten Hollywood-Ikone. Vor allem aber gelingt ihr ein Blick hinter ihre eigenen Kulissen, denn Alice ist vom Koreakrieg traumatisiert. Und auch wenn der Krieg vorbei ist und Waffenruhe herrscht, müssen das inzwischen geteilte Land und die in ihm lebenden Menschen erst noch zu einer neuen Normalität finden. 

“Das Beängstigende am Krieg ist, dass er aus den Herzen der Menschen ein Minenfeld aus Erinnerungen macht.”

(Seite 73, Ji-Min Lee) 

Ji-Min Lees Schreibstil hat mich von der ersten Seite an gefangen genommen. Sie verwendet so viele schöne Formulierungen und das Buch ist voller schöner Sätze. Aus ihren Worten spricht sehr viel Weisheit. Zudem merkt man, dass die Autorin eine gute Beobachterin ist und insbesondere das menschliche Verhalten gut verstehen, einordnen und beschreiben kann. Dies hat mir unheimlich gut gefallen, denn so bekommt der Roman eine zusätzliche Tiefe.

Die Begegnung zwischen Alice und Marilyn Monroe zeigt, dass auch die auf der Bühne so lebensfrohe Berühmtheit eigentlich zutiefst verunsichert und einsam ist. Nun ist es nichts Neues, dass Marilyn Monroe eine unglückliche Person war, weswegen diese Aspekte des Romans auch nicht überraschend sind. Trotz des Titels spielt Marilyn Monroe aus meiner Sicht aber eher eine Nebenrolle. 

Im Mittelpunkt des Geschehens steht Alice. Ich habe sie als sehr unnahbar empfunden, sowohl den Menschen in ihrem Leben, als auch mir als Leserin gegenüber. Im Laufe der Geschichte wird sie mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Sie muss sich mit erlittenen Verlusten, vergangenen Beziehungen und erlebten Verletzungen auseinandersetzen.

Parallel zu Alices Erleben verläuft die Geschichte Koreas wie ein roter Faden im Hintergrund. Ich wusste bislang nur sehr wenig über den Krieg in Korea und darüber, wie das Land auseinandergerissen wurde. Durch Alices Geschichte erhält man hier nähere Einblicke. 

Alices Vergangenheit wird Schicht für Schicht entblättert, so dass sich erst am Ende des Romans ein vollständiges Bild darstellt. Als ich das Buch zugeklappt habe, habe ich darüber nachgedacht, dass Alice immer vom Krieg gezeichnet bleiben wird. Dass sie noch wahrhaftes Glück empfinden kann glaube ich nicht. Und das war irgendwie ernüchternd. Und somit porträtiert Ji-Min Lee nicht nur das Leben einer jungen Koreanerin, sondern trifft auch das Wesen des Kriegs auf den Punkt. 

Mich hat das Buch so in seinen Bann gezogen, dass ich es an einem Nachmittag in einem Rutsch durchgelesen habe. Der Schreibstil der Autorin ist einfach wundervoll und ich hoffe, noch mehr aus ihrer Feder lesen zu können. Auch wenn mir Alice fern blieb, fand ich es spannend, sie und ihre Geschichte kennenzulernen. Nach dem Lesen habe ich mich erst einmal näher mit dem Koreakrieg beschäftigt. So gibt es bei der Bundeszentrale für politische Bildung einen guten Überblick über den Krieg und in der Welt einen erschreckenden Einblick in die während des Kriegs begangenen Kriegsverbrechen

Marilyn und ich | Ji-Min Lee | Übersetzung: Ki Hyang Lee | 2020 | HarperCollins | Hardcover | 240 Seiten | ISBN: 9783959675499 | Preis: 22€ 

*Dieses Buch habe ich kostenlos zur Rezension erhalten.