"Dolfi und Marilyn" von Francois Saintonge


Wir schreiben das Jahr 2060. In einem Pariser Vorort lebt Tycho Mercier, alleinerziehenden Vater und Professor für Geschichte. Auf Umwegen gewinnt er bei einer Tombola einen Klon. Doch A.H.6 ist nicht irgendein Klon, sondern das sechste Exemplar der inzwischen verbotenen Klonserie Adolf Hitlers. Während Tycho zwiegespalten ist und nicht weiß, ob er den Klon entsorgen oder behalten soll, freundet sich sein Sohn schnell mit ihm an, nennt ihn Dolfi und spielt mit ihm mit großer Begeisterung Kriegsspiele am Computer. Während Tycho weiter zweifelt, macht sich Dolfi nützlich und verrichtet Gartenarbeiten. Als Tycho dann auch noch eine illegal geklonte Marilyn Monroe erbt, welche sich tagsüber um den Haushalt und nachts um Tycho kümmert, ist in Tychos Leben nichts mehr so, wie es mal war.




Nachdem ich zum ersten Mal den Klappentext gelesen habe, war mein erster Gedanke, dass das Buch sicherlich herrlich strange, humorvoll und skurril ist. Da ich solchen Büchern gegenüber nicht völlig abgeneigt bin, und die Idee Hitler zu klonen durchaus interessant (nur im Buch, nicht in der Realität!) finde, war ich sehr gespannt auf "Dolfi und Marilyn", welches in Frankreich als Überraschungserfolg gefeiert wird. Der Name Francois Saintonge ist ein Pseudonym, hinter welchem sich ein erfolgreicher französischer Autor verbergen soll.

Erst nach etwa 100 Seiten konnte ich mich in die Geschichte einfinden. Die Schreibe des Autors ist stellenweise zwar durchaus anspruchsvoller, seine Art zu erzählen jedoch sehr langatmig. Dialoge gibt es kaum, so dass sich fast die ganze Geschichte als einziger Monolog der Hauptfigur darstellt. Und dieser neigt zu ausführlichen Erklärungen, Abschweifungen und ständigen Wiederholungen. Über Dinge, die mich interessiert hätten wie z.B. das Leben im Jahre 2060 oder die Reaktionen anderer Länder auf die Entwicklungen gegen Ende der Geschichte erfährt man hingegen wenig bis gar nichts.

Die Hauptfigur, Tycho Mercier, ist mir unsympathisch gewesen. Er ist sehr selbstgefällig, dabei ein Langweiler ohne soziale Kontakte, der sich in der Geschichte vergräbt und selbst bemitleidet und im wahren Leben zu naiv ist. Interessant fand ich hingegen die Darstellung der Klone. Leider hatte ich hier jedoch häufiger den Eindruck, als wisse der Autor nicht so genau, wie er die Klone denn eigentlich darstellen soll. Denn auch wenn Klone eigentlich genaue Abbilder des Originals sind, sind diese Klone hier dressierbar wie teure Haustiere, bescheiden, zurückhaltend und fast schon ein wenig dümmlich ohne jegliches Ego oder Selbstwertgefühl. Mich hat die Beschreibung oft mehr an Roboter als an Klone und somit genaue Abbilder erinnert. 
"Er hatte sehr genau begriffen, dass Dolfi ein armer Kerl, ein Opfer war, dem man das Gesicht des größten Verbrechers der Geschichte verpasst hatte." 
(Dolfi und Marilyn, Francois Saintonge, Seite 166)
In der vom Autor gezeichneten Gesellschaft sind die Klone keine vollwertigen Menschen und Parallelen zur Judenverfolgung während der NS-Zeit sind deutlich erkennbar. Umso skurriler ist es, auf einmal zu lesen, dass Adolf Hitler verfolgt und von Menschen versteckt und somit von der Liquidierung verschont wird. 

Eigentlich hätten diese Erzählstränge und Themen gereicht, doch der Autor versuchte auch noch die Liebe in der Geschichte unterzubringen. Ich fand die Geschichte zwischen Tycho und Marilyn einfach komisch, leider jedoch nicht im witzigen Sinne komisch. Für eine wirkliche Liebesgeschichte kommen viel zu wenige Emotionen rüber. Mehr als deutlich wird jedoch, wie sehr Tycho Marilyn sexuell begehrt. Da sie jedoch nicht wirklich menschlich, sondern roboterhaft dargestellt wird, hat dies schon etwas sehr surreales. So, als würde jemand immer vom Sex mit einer Gummipuppe berichten und diese dabei total vermenschlichen.  

Saintonge hat es jedoch auch geschafft, seiner Geschichte einen nachdenklich machenden und philosophisch anmutenden Ansatz zu geben. Denn nicht nur Tycho Mercier, sondern auch ich als Leserin, sah mich auf einmal mit diversen Fragen rund um die Thematik des Klonens konfrontiert. Wie menschlich sind Klone? Warum lassen sie es sich gefallen, nicht menschlich behandelt zu werden? Wenn man einen Klon liebt, liebt man dann einen oder mehrere, da sie ja eigentlich alle gleich sind? 

Das Buch wird als humorvoll angepriesen und ich dachte vor dem Lesen auch, dass es sicher auch lustig ist. Wenn das Buch Humor beinhaltet, hat er sich jedenfalls gut versteckt, denn ich habe ihn nicht gefunden. Wirklich lustig sind hingegen die Gesichter der Menschen in der Bahn, die einen Blick auf das Cover erhaschen und dann vööölllig unauffällig versuchen herauszufinden, was das denn bloß für ein Buch ist. 

Das Buch ist insgesamt sehr skurril und ich habe noch nie eine solch merkwürdige Geschichte gelesen. Die Idee zur Geschichte finde ich wirklich gut, die Umsetzung konnte mich leider nicht völlig überzeugen. Insgesamt wirkt die Geschichte nicht rund, ist einerseits zu viel und andererseits fehlt etwas. Trotz aller Kritik konnte mich das Buch aber auch unterhalten. Und zwar so sehr, dass das Buch drei Herzchen von mir bekommt. "Dolfi und Marilyn" ist sicherlich nicht für jeden Leser etwas, kann den richtigen Leser jedoch für einige Stunden in eine surreale, merkwürdige Welt begleiten.


Dolfi und Marilyn | Francois Saintonge | carl´s books | 2014 | broschiert | 288 Seiten | ISBN: 978-3570585375 | Preis: 14,99€ 

Vielen Dank an carl´s books für das Rezensionsexemplar.