Zum Meer | Kathrin Groß-Striffler

Kathrin Groß-Striffler_Zum Meer_ Rezension

Saskia ist Anfang 20, Mutter, Nomadin und vor allem völlig überfordert. Mit sich selbst, mit dem Leben, mit der Liebe und vor allem mit ihrem Kind. Mit dem Leben in Deutschland kommt sie nicht klar, ihre Flucht nach Brasilien scheiterte aber auch. In diesem Strudel namens Leben, zwischen Depression und Windeln, versucht Saskia ihre Träume vom Reisen und dem Leben in der Ferne zu verwirklichen. Dafür trifft sie eine radikale Entscheidung.

Kathrin Groß-Striffler schreibt wie das tosende Meer. Mit ihren Worten hat sie mich immer wieder gepackt, mit den Wellen zurückgezogen, durch das Wasser gewirbelt und wieder an Land gespült. Manche Sätze brennen dabei wie Salzwasser in den Augen und schürfen die Knie auf, als wäre man zu fest über sandigen Boden gerutscht.

"Aus Langeweile mache ich mir eine Liste, was ich will: Spontan will ich sein, reisen, wenn mir danach ist, Sex haben, wenn mir danach ist, ins Kino gehen, wenn mir danach ist, ich will mich nicht gängeln lassen, selbst von Mia nicht, ich krieg Zustände, wenn ich gegängelt werde, ich muss aufpassen, dass mir das nicht auch hier passiert, auf der Insel, die Tante hat ihr Netz schon ausgelegt, aber da irrt sie sich, ich passe auf." (Tolino Seite 45)

Saskia ist eine unbequeme Protagonistin, weil es schwer ist, sie zu mögen. Sie ist überheblich und arrogant, sie findet fast alles scheiße, Regeln kennt sie nicht an, sie ist sofort beleidigt und eingeschnappt und ständig genervt. Auf der anderen Seite sieht man aber auch deutlich, dass sie völlig überfordert ist, dass sie dringend Hilfe und Unterstützung braucht, diese auch sucht aber nicht findet. Und dann lastet auf dieser völlig zerrüttelten Persönlichkeit, deren Träume längst von der Realität erstickt wurden, auch noch die große Verantwortung für ihre kleine Tochter Mia, die sie liebt und gleichzeitig verflucht.

"Ein paar Tage später kriegt Mia Schnupfen. Wieder mal. Und sie quengelt rum, will auf meinen Schoß, will nicht essen, lässt mich nicht aus den Augen, ich kann keinen Schritt ohne sie machen, ich werde verrückt, ich halte das nicht aus, ich schrei sie an, und wenn sie dann weint, heul ich gleich mit, ich bin wohl die unfähigste Mutter, die auf diesem Planeten rumläuft, ganz bestimmt bin ich das." (Tolino S. 135 - 136)

In "Zum Meer" greift die Autorin Kathrin Groß-Striffler verschiedene Themen auf. Dabei scheut sie auch vor Tabuthemen nicht zurück, sondern schafft es, diese geschickt miteinander zu verknüpfen. Trotz der thematischen Vielfalt ist der rote Faden in der Geschichte immer zu erkennen. An keiner Stelle wirkt die Geschichte überladen.

"Moralisch sein kann man nur, wenn man zu den Gewinnern gehört." (Tolino Seite 80)

Im Laufe des Romans trifft Saskia eine sehr radikale Entscheidung, welche gesellschaftlich nicht anerkannt ist. Verurteilen konnte ich Saskia für diese Entscheidung aber nicht. Und spätestens dies war für mich der Punkt, der sehr deutlich gemacht hat, dass die Autorin mit ihrem Roman alles richtig gemacht hat. Kathrin Groß-Striffler hat ein beeindruckendes Portrait geschaffen und somit denen eine Stimme gegeben, deren Stimme wir alle nur zu oft überhören.

Zum Meer | Kathrin Groß-Striffler | Aufbau Verlag | 2014 | Hardcover | 252 Seiten | ISBN: 978-3351032913 | Preis Printausgabe: 19,95€ | Preis E-Book: 15,99€